Das römischrechtliche precarium im deutsch-baltischen und estnischen Recht: eine Besonderheit aus der estnischen Rechtsgeschichte

AuthorMarju Luts-Sootak, Hesi Siimets-Gross
PositionDr. iur., Professorin für Rechtsgeschichte an der Universität Tartu an der Universität Tartu - Dr. iur., Dozentin für Rechtsgeschichte und Römisches Recht
Pages222-230
222 JURIDICA INTERNATIONAL XX/2013
Marju Luts-Sootak Hesi Siimets-Gross
Dr. iur., Professorin Dr. iur., Dozentin für Rechtsgeschichte
für Rechtsgeschichte und Römisches Recht
an der Universität Tartu an der Universität Tartu
Das römischrechtliche
precarium
im deutsch-baltischen
und estnischen Recht:
eine Besonderheit aus der estnischen Rechtsgeschichte*1
Einleitung
Das antike römische Recht kannte einen vermögensrechtlichen Vertrag, der für die heutigen Privatrechts-
ordnungen kaum noch bekannt erscheint: precarium. Die Hauptquelle für unsere Kenntnisse über das
römische precarium sind die Digesten, die auf Befehl des Kaisers Justinian in den Jahren 530–533 zusam-
mengestellt sind und die die Fragmente der Juristenschriften aus der klassischen Zeit (27 v Chr – 283
n Chr) enthalten. Der 26. Titel des 43. Buches der Digesten heißt de precario und behandelt in 22 Frag-
menten die unentgeltliche Überlassung zum freien Gebrauch. Zum precarium konnten sowohl körperliche
Sachen als auch die Rechte wie die Wegedienstbarkeit (Dig. 43.26.3) gegeben werden. Von körperlichen
Sachen werden in den Quellen Sklaven und Sklavinnen und auch Land genannt (Dig. 43.26.2.3; 43.26.6.2;
43.26.10.). Die Überlassung des Landes zum freien Gebrauch von Patronen an Klienten hat ihren Ursprung
wahrscheinlich auch im precarium.*2 Viel mehr weiß man über den Anwendungsbereich dieses Vertrages
im antiken Rom nicht.
Auch im Mittelalter hat das gemeineuropäische ius commune das antike römische precarium beibe-
halten. Helmut Coing bleibt in seiner Gesamtdarstellung des älteren ius commune in dem Punkt dieses
Nachlebens von precarium allerdings sehr knapp und sagt nur, dass es ebenso verwendet wurde „wie es im
Corpus Iuris erscheint”.*3 Etwas näher behandelt Coing den Schwestervertrag des kanonischen Rechts, pre-
caria, der von der Kirche verwendet wurde, um ihr Land für die willigen Leute auf deren Bitte zur Nutzung
zu geben. Insoweit war der Vertrag damals ähnlich etwa der Bittleihe oder der Erbleihe oder dem Erbzins*4
1 Diese Untersuchung ist durch den Forschungsgrant ETF 9209 der estnischen Wissenschaftsstiftung unterstützt worden.
2 M. Kaser. Das römische Privatrecht. Abschnitt 1, Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht. 2. Au . München:
Beck 1971, S. 388.
3 H. Coing. Europäisches Privatrecht. Band I: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800). München: Beck 1985, S. 371.
4 S. F. Klein-Bruckschweiger. Art. Erbleihe. – Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 1. Au . Bd. 1. A. Erler,
E. Kaufmann (Hrsg.). Berlin: Schmidt 1971, Sp. 986–987; C. Neschwara. Art. Erbzins. – Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte. 2. Au . Lief. 6. A. Cordes et al. (Hrsg.). Berlin: Schmidt 2007, Sp. 1392–1393.

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