Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland. Gliederungsübersicht

AuthorHartmut Maurer
PositionProf. Dr. Universität Konstanz
Pages4-13
1. Einleitung

Die Privatisierung der Staatsaufgaben wird seit einigen Jahrzehnten in der Staats- und Verwaltungsrechtslehre eingehend diskutiert und in der Praxis in vielfältiger Weise aufgenommen und umgesetzt. Sie erstreckt sich auf fast alle Verwaltungsbereiche und auf alle Verwaltungsebenen, auf die Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen.

Die Privatisierung wird aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Zielen empfohlen oder sogar gefordert. Sie soll die ständig zunehmenden Verwaltungsaufgaben des Staates, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge und der Leistungsverwaltung, reduzieren, den Verwaltungsapparat entlasten, finanzielle Kosten und Belastungen ersparen, die Sachkunde und die Leistungsfähigkeit privater Unternehmer nutzen und das bürgerschaftliche Engagement stärken. Sie stößt aber auch auf Kritik. So werden der Verlust an Staatlichkeit und der damit verbundenen Objektivität und Unabhängigkeit bedauert, die immer wieder hervorgehobenen ökonomischen und finanziellen Vorteile in Zweifel gezogen und darauf hingewiesen, dass die Privatisierung ihrerseits wieder eine Vielzahl von Rechtsnormen veranlasst und produziert. Das sind jedoch nur Einzelaspekte. Im Grunde geht es um das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, - einerseits um die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen und anderseits um ihre Verbindung im Sinne der Kooperation.

Die rechtspolitischen Argumente sind hier nicht weiter zu erörtern. Ich habe mich vielmehr mit den verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland zu befassen. Sie können freilich nur dann genauer bestimmt werden, wenn Klarheit über den Begriff der Privatisierung im rechtlichen Sinn besteht. Denn die Grenzen lassen sich nur bestimmen, wenn das, was begrenzt ist oder begrenzt werden soll, inhaltlich feststeht, ganz abgesehen davon, dass die begriffliche Abgrenzung schon Hinweise auf die Grenzen selbst gibt.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich bald, dass es nicht die Privatisierung, sondern unterschiedliche Typen und Formen der Privatisierung gibt, die zwar tendenziell in die gleiche Richtung zielen und die Verlagerung von Staatsaufgaben in den privatrechtlichen oder sogar den privatwirtschaftlichen Bereich bezwecken, aber doch noch erhebliche sachliche und rechtliche Unterschiede aufweisen. 2

2. Begriff und Arten der Privatisierung

Die überwiegende Lehre in Deutschland unterscheidet drei Arten der Privatisierung: (1) die Organisationsprivatisierung oder formelle Privatisierung, (2) die Erfüllungsprivatisierung oder funktionale Privatisierung und (3) die Aufgabenprivatisierung oder materielle Privatisierung.

2.1. Die Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung)

Sie liegt vor, wenn der Staat 3 bestimmte Verwaltungsaufgaben nicht (mehr) in den Formen des öffentlichen Rechts, sondern in den Rechts- und Organisationsformen des Privatrechts wahrnimmt. Das ist vor allem dann der Fall, wenn er eine juristische Person des Privatrechts gründet und ihr die Erledigung der jeweiligen Aufgaben zuweist. So kann z. B. eine Gemeinde den Personennahverkehr durch eine Aktiengesellschaft (AG) oder die Tourist-Information durch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) betreiben, die - wie auch sonst im Wirtschaftsleben - nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und privatrechtlichen Regeln handeln. Diese Gesellschaften sind zwar rechtlich selbständig, bleiben aber an die staatliche Verwaltung gebunden, da sie als Träger der Gesellschaft in der Lage ist, diese zu beherrschen und maßgebenden Einfluss auf ihre Geschäftspolitik auszuüben. Genau betrachtet handelt es sich überhaupt nicht um eine Privatisierung, da keine Verlagerung in den gesellschaftlich-privaten Bereich, sondern nur ein Wechsel der rechtlichen Organisation und Formen stattfindet, der allerdings in den Bereich des Privatrechts führt. 4

2.2. Die Erfüllungsprivatisierung (funktionale Privatisierung)

Sie besteht darin, dass zwar die Zuständigkeit und die Verantwortung für die Erledigung von Verwaltungsaufgaben beim Verwaltungsträger verbleiben, aber die tatsächliche Erfüllung dieser Aufgaben teilweise oder sogar ganz auf Privatunternehmer übertragen wird. 5 Die Übertragung erfolgt durch Vertrag, der den Auftrag konkretisiert und die gegenseitigen Pflichten und Rechte festlegt. Der auf diese Weise herangezogene Privatunternehmer, der in der Literatur "Verwaltungshelfer" genannt wird, kann je nach Ausgestaltung der vertraglich geregelten Beziehungen mehr oder weniger selbständig tätig werden. Nach außen tritt er in der Regel rechtlich nicht auf. Hoheitliche Befugnisse besitzt er nur ausnahmsweise, wenn er aufgrund eines Gesetzes dazu ermächtigt worden ist. 6 Die Erfüllungsprivatisierung kann sich im konkreten Fall auf ein einzelnes Projekt, etwa die Reparatur einer Kanalisation oder die Planungsarbeiten für ein Neubaugebiet, beschränken, aber auch auf eine längerfristige Zusammenarbeit - etwa die Planung, den Bau, die Unterhaltung und die spätere Kontrolle einer Abfallbeseitigungsanlage - erstrecken. Die Zusammenarbeit von Verwaltung und Privatunternehmer im Rahmen der Erfüllungsprivatisierung hat in der letzten Zeit erheblich zugenommen. Sie wird in der Literatur und Rechtsprechung und neuerdings auch in der Gesetzgebung unter dem Stichwort Public Private Partnership (PPP) bzw. Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) näher behandelt. 7

2.3. Die Aufgabenprivatisierung (materielle Privatisierung)

Sie ist dann anzunehmen, wenn der Staat ganz auf eine bislang von ihm wahrgenommene Verwaltungsaufgabe verzichtet. Die Gründe können unterschiedlich sein. So ist es möglich, dass der Staat diese Aufgabe nunmehr für entbehrlich hält, dass er das öffentliche Interesse verneint oder dass er die Aufgabe bewusst dem gesellschaftlich-privatrechtlichen Bereich überlassen oder sogar zuschieben will in der Erwartung, dass die Aufgabe im freien wirtschaftlichen Wettbewerb besser, effektiver und kostengünstiger erledigt wird.

2.4. Sonderformen und Zwischengebilde

Die drei genannten Privatisierungsarten bilden eher idealtypische Grundmodelle. In der Praxis treten sie in zahlreichen Variationen und Verknüpfungen auf. Daher werden in der Literatur gelegentlich eine Reihe weiterer Privatisierungsformen genannt, die sich aber in Wirklichkeit meistens nur als Unterarten oder Zwischengebilde erweisen. So ist z.B. die sog. Verfahrensprivatisierung, die (nur) Teile des Verwaltungsverfahrens Privaten zuweist, etwa bestimmte Planungsabschnitte vor oder Qualitätskontrollen nach der behördlichen Genehmigung einer Anlage, der Erfüllungsprivatisierung zuzuordnen. 8 Entsprechendes gilt für die sog. Finanzierungsprivatisierung, die die Finanzierung eines Vorhabens durch Private betrifft. 9

Eine Weiterentwicklung der Organisationsprivatisierung bildet die sog. gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft. Sie liegt vor, wenn der Staat nicht alle Gesellschaftsanteile in der Hand hat (Eigengesellschaft), sondern weitere Gesellschafter beteiligt sind (Beteiligungsgesellschaft), und zwar entweder Verwaltungsträger (gemischt-öffentliche Gesellschaft) oder Private (gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft). Die Einbeziehung Privater kann für beide Seiten attraktiv sein. Der Private erhält über seine Geschäftsanteile Mitsprache- oder sogar Mitentscheidungsrechte, der Staat kann die Sachkunde und die Erfahrungen der privaten Mitgesellschafter nutzen und durch deren Kapitaleinsatz die finanzielle Basis verbreitern. Insoweit nähert sich diese Alternative der funktionalen Privatisierung. Strukturell kann im Staatsanteil eine Organisationsprivatisierung und im Privatanteil eine materielle Privatisierung gesehen werden. Innerhalb der gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft kann es zwischen dem Staat und dem Privatunternehmer zu Spannungen kommen, da der Staat am Gemeinwohl orientiert ist, während die Privatunternehmer eher am Gewinn interessiert sind. Diese Spannungen sind im Wege der partnerschaftlichen Kooperation, erforderlichenfalls unter Ausnutzung der rechtlichen Einflussmöglichkeiten zu lösen. Die Gemeindeordnungen verlangen, dass die Gemeinden in den gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften, die öffentliche Einrichtungen betreiben (etwa Abfallbeseitigung, Verkehrsbetriebe usw.), einen beherrschenden Einfluss erhalten, sei es über die Mehrheit der Geschäftsanteile, sei es über gesellschaftsrechtliche Verträge. 10 Ist das nicht (mehr) der Fall, besitzen sie nur noch eine Sperrminorität, mit der sie zwar gesellschaftliche Grundentscheidungen verhindern, aber nicht die laufende Geschäftsführung wirksam beeinflussen können.

Ein eigenständiger Typ stellt die sog. Vermögens- oder Eigentumsprivatisierung dar. 11 Durch sie werden nicht Verwaltungsaufgaben, sondern Vermögensgegenstände an Private abgegeben. Sie erfolgt durch Übereignung von Grundstücken, Anlagen, Aktien, Kunstgegenstände usw. nach den Vorschriften des Zivilrechts, führt also zu einem Eigentumswechsel. Dementsprechend hat sie auch mehr haushaltsrechtliche als verwaltungsrechtliche Bedeutung. Ist die Übereignung erfolgt, dann ist die "Privatisierung" abgeschlossen. Sie kann aber auch in einem größeren...

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