Subjektiver Tatbestand, Schuld und subjektive Grundlagen der Verantwortlichkeit

AuthorWalter Gropp
Pages16-23

Walter Gropp

Subjektiver Tatbestand, Schuld und subjektive Grundlagen der Verantwortlichkeit

Zum subjektiven Tatbestand gehören Verbrechenselemente, die innere Eigenschaften, Fähigkeiten und Zustände der Person betreffen1. Diese Eigenschaften, Fähigkeiten und Zustände können nicht unmittelbar festgestellt oder nachgewiesen werden. Man kann auf sie aber aus äußeren Umständen schließen. So kann etwa beim Diebstahl (§ 242 dStGB) eines Autos auf die Zueignungsabsichtdaraus geschlossen werden, dass der Täter das Fahrzeug zunächst wie ein Eigentümer benutzt und es danach in einem Fluss versenkt hat2.

Die folgenden Ausführungen wenden sich zunächst aus deutscher Sicht (1) den subjektiven Elementen der Tatbestandsmäßigkeit der strafbaren Handlung (1.1) zu. Es folgen Überlegungen zur Schuldhaftigkeit (1.2) und zu subjektiven Grundlagen der Verantwortlichkeit (1.3). Im zweiten Teil (2) werden die entsprechenden Vorschriften des neuen estnischen StGB betrachtet. In einem dritten Schritt (3) will ich versuchen, einige wenige Beobachtungen rechtsvergleichender Natur zur Diskussion zu stellen.

1. Deutsches Strafrecht
1.1. Der subjektive Tatbestand als die subjektiven Merkmale der tatbestandsmäßigen Handlung

Der sog. "subjektive Tatbestand" bildet zusammen mit dem "objektiven Tatbestand" den Tatbestand der strafbaren Handlung. Der Tatbestand stellt die Summe der Elemente dar, deren Vorliegen erforderlich ist, damit eine Handlung den in den Strafgesetzen beschriebenen strafbaren Unwertverwirklichungen entspricht. Der Tatbestand legt somit fest, wann eine Handlung tatbestandsmäßig ist. Die Erfüllung des Tatbestandes bedeutet deshalb eine Aussage über eine Eigenschaft, die Tatbestandsmäßigkeit, einer Handlung. Der subjektive Tatbestand enthält folglich die subjektiven Elemente dieser Eigenschaft, die subjektiven Merkmale für die tatbestandsmäßige Handlung.

1.1.1. Keine Festlegung durch das dStGB

So wird zwar in § 15 dStGB zwischen einem vorsätzlichen und einem fahrlässigen Handeln unterschieden.Es fehlt aber eine Festlegung, dass der Vorsatz Bestandteil gerade der Tatbestandsmäßigkeit sein müsse. Dasselbe gilt für die Irrtumsregelung in § 16 dStGB. Dortist zwar festgelegt, dass die Unkenntnis eines zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Merkmals den Vorsatz entfallen lässt. Die Stelle, an der dies innerhalb des Verbrechensaufbaus geschehen soll, ist indessen offen gelassen. Und selbst bezüglich der bereits erwähnten Zueignungsabsicht beim Diebstahl (§ 242 dStGB) - eines der markantesten subjektiven Elemente des Besonderen Teils des StGB - ist nicht gesetzlich festgelegt, dass sie Bestandteil des Tatbestandes ist.

1.1.2. Die Anerkennung subjektiver Tatbestandsmerkmale als Ergebnis der Entwicklung der Handlungslehre

Die Anerkennung subjektiver Merkmale als Bestandteil der Tatbestandsmäßigkeit der Handlung ist eine Frucht der Strafrechtsdogmatik. Sie resultiert aus dem Nachdenken über die Struktur und den Aufbau der strafbaren Handlung und über die notwendigen Bestandteile des Unwertes, der die strafbare Handlung konstituiert.

Obwohl aus der Sicht der Allgemeinen Lehren die Anerkennung des Vorsatzes als subjektives Element der tatbestandsmäßigen Handlung prägend ist, hat die Einordnung subjektiver Merkmale als unwertbegründend ihren Anfang im Besonderen Teil des StGB. Den Anlass gaben insbesondere Straftatbestände, bei deren Begehung der Täter in einer bestimmten Absicht handeln muss.

Auf der Grundlage des klassischen Verbrechenssystems Liszts und Belings und der kausalen Handlungslehre wurden der Tatbestandsmäßigkeit die äußeren und der Schuldhaftigkeit die inneren Elemente der Straftat zugeordnet3. Die Absichten des Täters waren daher eine Frage seiner Schuld und ließen die Unwertbeschreibung des Tatbestandes unberührt.

Erst der neoklassische Verbrechensbegriff nahm an, dass der tatbestandstypische Unwert einer Straftat auch durch subjektive Elemente geprägt wird. Als typisches Beispiel für ein subjektives Tatbestandsmerkmal kann hier die Zueignungsabsicht beim Diebstahl genannt werden4. Weil diese Merkmale auf der tatbestandlichen Ausgestaltung des jeweiligen Delikts durch den Strafgesetzgeber beruhen, nennen wir sie heute besondere subjektive Elemente der Tatbestandsmäßigkeit.

Die Anerkennung allgemeiner subjektiver Merkmale der Tatbestandsmäßigkeit der Handlung ist hingegen unabhängig von den Deliktsbeschreibungen im Besonderen Teil des StGB zu sehen. Sie hängt vielmehr mit bestimmten Erscheinungsformen der Straftat zusammen.

Ganz im Vordergrund stehen dabei alle vorsätzlich begangenen Straftaten. Die Einordnung des Vorsatzes als Element der Tatbestandsmäßigkeit beim vollendeten Erfolgsdelikt ist die Folge der von Hans Welzel begründeten sog. "finalen Handlungslehre"5. Das Wissen und Wollen der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale ist nun konstitutives Element der Tatbestandsmäßigkeit.

Auch im Falle der irrigen Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum) ist der Vorsatz als subjektives Element der Tatbestandsmäßigkeit anerkannt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man dem heute vorherrschenden, auf der finalen Handlungslehre aufbauenden sog. vermittelnden Verbrechensbegriff6 folgt. Danach ist der Vorsatz sowohl ein subjektives Element der Tatbestandsmäßigkeit als auch ein Element der Schuldhaftigkeit der Handlung7. Dass der Täter die Straftat vorsätzlich begeht, wirkt folglich nicht nur unwertbegründend. Vielmehr gereicht es darüber hinaus dem Täter auch zum Vorwurf.Wegen der rechtstreuen Gesinnung eines Täters, der irrig einen ihn rechtfertigenden Sachverhalt annimmt, wird es somit möglich, den schuldbegründenden Bestandteil des Vorsatzes fallen zu lassen, den unwertbegründenden Bestandteil jedoch beizubehalten. Dies erlaubt es, trotz vorsätzlicher Tatbegehung von einer Bestrafung des Täters aus dem Vorsatzdelikt abzusehen8.

Schließlich stimmen alle in Deutschland vertretenen Verbrechensbegriffe darin überein, dass das Verbrechen in der Erscheinungsform des Versuchs subjektive Tatbestandselemente enthält. Denn notwendiger Bestandteil eines jeden Versuchsaufbaus ist der Entschluss des Täters, eine Straftat zu begehen9 und damit die subjektive gedankliche Vorwegnahme der Tat.

1.1.3. Subjektive Merkmale der Tatbestandsmäßigkeit der fahrlässigen Handlung

Ob auch die Tatbestandsmäßigkeit der fahrlässigen Handlung subjektive Elemente kennt, ist in Deutschland sehr umstritten. Die Praxis der Gerichte und die wohl noch überwiegende Auffassung in der deutschen Literatur geht davon aus, dass sich die Tatbestandsmäßigkeit des fahrlässigen Erfolgsdelikts neben der Handlung, der Kausalität und dem Erfolg im Wesentlichen in der Verletzung einer Sorgfaltspflicht und in der Herbeiführung des Erfolgs trotz objektiver Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit erschöpft10. Ob der Täter den Erfolg auch individuell vorhersehen und vermeiden konnte, soll hingegen eine Frage der Schuld sein11.

Es sei dahingestellt, ob die Verletzung einer Sorgfaltspflicht als Merkmal für die Unwertbegründung des Fahrlässigkeitsdelikts sachgerecht ist. Rechtstheoretisch und verbrechenssystematisch sprechen wohl die besseren Gründe dafür, anstatt der Verletzung einer Sorgfaltspflicht eine erhöhte Gefahrschaffung als objektives unwertbegründendes Element des Fahrlässigkeitsdelikts zu beschreiben12. Unter dem Blickwinkel subjektiver Elemente der Tatbestandsmäßigkeit kommt es darauf indessen nicht an. Hier ist viel wichtiger die Frage, ob die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges als konstituierende Elemente des Fahrlässigkeitsunwertes mit der überwiegenden Meinung13 nur nach objektiven oder - mit einer Mindermeinung14 - zumindest auch nach subjektiven Maßstäben gemessen werden sollen.

Objektive Maßstäbe spielen insoweit schon deshalb eine Rolle, weil man auch beim Fahrlässigkeitsdelikt von vornherein solche Geschehensabläufe als zurechenbare Unwertverwirklichung ausklammern muss, die selbst von Experten nicht vorhergesehen und vermieden werden können15. Sehr umstritten ist hingegen die Frage, ob auch die individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolgs, d. h. subjektive Gesichtspunkte, Bestandteile bereits der Unwertbeschreibung des Fahrlässigkeitsdelikts sind.

Die Diskussion um die Anerkennung der individuellen Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit als subjektive Merkmale der Tatbestandsmäßigkeit der fahrlässigen Handlung wird bisher nur von wenigen geführt16.

Die Erklärung hierfür könnte in der heute vorherrschenden Interpretation der Lehre Welzels von der Willenshandlung liegen, innerhalb derer dem steuernden Willen eine konstitutive Funktion zukommt17. Nach dieser Interpretation durch die h.L. erschöpft sich der Handlungsunwert beim Vorsatzdelikt in dem den jeweiligen Erfolgsunwert erstrebenden Verhalten18. Auf dieser Basis fällt es schwer, eine entsprechende Willenshandlung beim Fahrlässigkeitsdelikt zu finden. Den Handlungsunwert des Autofahrers, der einen Fußgänger versehentlich zu Tode fährt, könnte man allenfalls darin sehen, dass er mit seinem Wagen einem Ziel zustrebt. Indessen besteht der tatbestandstypische Unwert der...

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