Strafrechtlicher Vorsatz: Die neuesten Entwicklungen in der schwedischen Wissenschaft und Praxis

AuthorJosef Zila
Pages55-61

Josef Zila

Strafrechtlicher Vorsatz: Die neuesten Entwicklungen in der schwedischen Wissenschaft und Praxis

1. Einführung

Die Schuldformen, die im schwedischen Strafrecht bekannt sind (Vorsatz und Fahrlässigkeit), werden gewöhnlich mit Hilfe von zwei Elementen erklärt, die ebenfalls der Bildung dieser Schuldformen dienen. Das erste Element ist das Wissen des Täters, das sich auf diejenigen Umstände bezieht, welche den Tatbestand erfüllen (das kognitive Element). Beim zweiten Element betrachtet man die innere Einstellung des Täters zu diesen Umständen (das sog. voluntative Element). Im Rahmen der sog. klassischen Vorsatzlehre unterscheidet man - nach der schwedischen Terminologie - direkten Vorsatz, indirekten Vorsatz und Eventualvorsatz, sowie bewusste Fahrlässigkeit und unbewusste Fahrlässigkeit.

Der direkte Vorsatz liegt vor, wenn der Täter weiss (mit praktischer Sicherheit), dass er mit seinem Handeln einen bestimmten, strafrechtlich relevanten Erfolg verursacht und der strafrechtliche Erfolg ist auch das, wonach er strebt.

Der Unterschied zwischen der direkten und indirekten Vorsatz liegt nicht im kognitiven Element. Sowohl der direkte als auch indirekte Vorsatz erfordern das gleiche Maß an Täterwissen hinsichtlich des Handlungserfolges. Der Unterschied besteht in der inneren Einstellung des Täters zum Erfolg. Das Verhältnis beschreibt man auf die Art und Weise, dass der Täter, der mit indirektem Vorsatz handelt, nicht nach dem strafrechtlichen Erfolg strebt, sondern dieser erscheint lediglich als eine Art "Nebenprodukt" seines Handelns. Das Handeln selbst hat einen anderen Zweck, z. B. eine andere Straftat, oder etwas, das an für sich nicht rechtswidrig zu sein braucht. Die Akzeptanz des strafrechtlichen Erfolgs durch den Täter rührt von seinem Wissen her, dass sein Handeln etwas Bestimmtes verursachen wird.

Die oben erwähnten Schuldformen stellen aus der Sicht der praktischen Anwendung keine besonderen Probleme dar, abgesehen von eventuellen Beweisproblemen. Wie bekannt ist, beginnen die wirklichen Probleme, wenn man nicht feststellen kann, dass der Täter "volles" Wissen hatte oder hätte haben müssen, es aber ausser Zweifel steht, dass der Täter das (beachtliche) Risiko eingesehen hat, dass sein Handeln zu einem Erfolg führen kann, der eine Straftat darstellt, z. B. das jemand getötet oder verletzt wird und er trotz dieser Einsicht die Handlung vornimmt und das Risiko sich im Erfolg verwirklicht. Es obliegt dem Gericht zu entscheiden, ob ein solches Handeln als eine vorsätzliche Tat anzusehen ist oder ob es das Handeln lediglich als fahrlässig beurteilen soll. Mit anderen Worten geht es um die Entscheidung, ob der Täter mit Eventualvorsatz, der die dritte Vorsatzform nach geltendem schwedischen Recht ist, oder bewusst fahrlässig gehandelt hat.

Man muss nicht erwähnen, dass diese Entscheidung eine enorme Bedeutung für den Angeklagten hat. Es geht dabei um die Grenzziehung zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen Straftaten, die oft beträchtlich unterschiedliche Strafandrohungen haben. In den Fällen, in denen der Gesetzgeber nur Vorsatztaten mit Strafe bedroht, handelt es sich um Grenzen zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Handlungen. Es ist gerade auf diesem Gebiet, wo man in Schweden sowohl in der Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung und vor kurzem auch in der Praxis versucht hatte, neue Lösungen einzuführen. Dies werde ich später darlegen und diskutieren.

Der Vollständigkeit halber soll dargelegt werden, dass die letzte Schuldform, die im schwedischen Recht Anwendung findet, die unbewusste Fahrlässigkeit ist. Hierbei fehlt dem Täter das Wissen hinsichtlich der strafrechtlich relevanten Umstände. Daher macht es keinen Sinn, seine innere Einstellung zu untersuchen. Dem Täter können wir vorwerfen, dass er sich das nötige Wissen nicht beschaffen hat. Das hätte er mit Rücksicht auf seine Stellung und die übrigen Umstände tun müssen. Es kann vorwerfbar sein, wenn man handelt, ohne die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen vorgenommen zu haben.

2. Die Grenzziehung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit

Die Situation, in der der Täter das beachtliche Risiko, dass sein Handeln zu einem Erfolg führen kann, eingesehen hat, und er trotz dieser Einsicht die Handlung vornimmt und das Risiko sich im Erfolg verwirklicht, ist in der Praxis sehr gewöhnlich. In diesem Fall kann man also den Täter für eine vorsätzliche oder bewusst fahrlässige Straftat verurteilen.

Wie bekannt ist, hat man in der Strafrechtsdoktrin und Praxis viele Methoden, etwa die "normativen Denkmodelle", ausgearbeitet, deren Zweck es ist, den Gerichten einen Leitfaden an die Hand zu geben, um zu beurteilen, ob der Angeklagte für eine vorsätzliche oder bewusst fahrlässige Tat verurteilt werden soll. Der Zweck dieser Modelle ist es, die Voraussetzungen für die sichere und eindeutige Beantwortung der Frage zu schaffen, welche innere Einstellung der Täter zum Zeitpunkt der Tat hatte. Da die einzelnen Denkmodelle an verschiedenen Tatsachenfeststellungen des Gerichts anknüpfen, ist ihr weiteres, wichtiges Ziel die Absicherung der Gleichheit vor dem Gesetz und der Rechtssicherheit: in jedem einzelnen Fall soll man von der selben Art von Tatsachenfeststellungen ausgehen.

Im schwedischen Strafrecht hat man traditionell drei verschiedene Methoden für die Grenzziehung zwischen Eventualvorsatz und bewusster...

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