Politische und rechtliche Gründe
Author | Lorenz Engi |
Pages | 83-87 |
ANCILLA IURIS (anci.ch) 2016: 43 – Article 43
Politische und rechtliche Gründe
Notizen zur Pluralität des Begründens
I. Einführung
Im philosophischen Diskurs der Gegenwart spielt das Thema der Gründe und der
Begründungen eine zentrale Rolle. Vernünftiges Handeln zeichnet sich nach vielfach vertre‐
tener Auffassung dadurch aus, dass es dafür gute Gründe gibt, und vernünftiges Interagie‐
ren ist durch Prozesse des Gründe‐Gebens und Gründe‐Akzeptierens bestimmt.1 Oft ist
besonders in der philosophischen Literatur davon die Rede, dass es „gute Gründe“ geben
müsse, damit eine Praxis als vernünftige zu verstehen sei.
Diese Redeweise könnte die Vorstellung nahelegen, dass es einen Bestand von Gründen
gebe, der in jedem Kontext unverändert zur Anwendung käme. Wie im Folgenden verdeut‐
licht werden soll, haben Begründungen je nach Zusammenhang, in dem sie verwendet und
vorgebracht werden, im Einzelnen jedoch eine besondere Form.
Ich möchte dies am Beispiel der juristischen und der politischen Argumentation nachver‐
folgen. Im Folgenden soll betrachtet werden, welche Gründe eine politische und welche eine
juristische Argumentation stützen und wie diese Formen des Begründens sich zueinander
verhalten. Die Ausführungen dieses Beitrages haben den Charakter einer Skizze bzw. Vor‐
studie. Es ist klar, dass das Thema des Begründens und der Gründe ausserordentlich weitrei‐
chend ist und im Rahmen des vorliegenden Textes nicht annähernd erschöpfend behandelt
werden kann.
II. Gründe in Verwaltungen und Gerichten
Juristisch entschieden wird primär in zwei Bereichen, in der öffentlich en Verwaltung und
den Gerichten.2 Die Verwaltungstätigkeit, die zunächst betrachtet sei, ist – wie allgemein
bekannt – durch erhebliche Gestaltungsspielräume gekennzeichnet. Die öffentliche Verwal‐
tung kann, soweit sie hoheitlich handelt und verbindlich entscheidet, ihr Handeln jedoch
nicht mit beliebigen Gründen rechtfertigen. Vielmehr bedarf es dazu spezifisch juristischer
Begründungen.
Diese Begründungen sind dadurch charakterisiert, dass sie auf einen Komplex von Nor‐
men, Urteilen, Lehrmeinungen usw. rekurrieren. Juristische Entscheidungen müssen sich zu
diesen Vorgaben und Vorentscheidungen kohärent verhalten.3 Im faktischen Prozess der
Entscheidungsfindung innerhalb der Verwaltung können zahlreiche andere, nicht nur
rechtsbezogene Motive eine Rolle spielen. Wichtig sind namentlich Folgenüberlegungen.4 In
1* Für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Hinweise danke ich Dr. Saskia Stucki.
1 Prominent dazu Robert Brandom, Making it Explicit. Reasoning, Representing, and Discoursive Commit‐
ment (1994).
2 Die rechtsmethodologische Literatur konzentriert sich auf die Gerichte und die Richter, real ist die admini‐
strative Rechtsanwendung aber nicht weniger wichtig.
3Lorenz Engi, Kohärenz im Verwaltungshandeln – Zur Methodologie des Entscheidens in der öffentlichen
Verwaltung, in: Schweizerisches Zentralblatt für Staats‐ und Verwaltungsrecht 115 (2014), 139–150.
4Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1995), 377 ff.
Lorenz Engi*
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