Privatisierung und modernes kommunales Unternehmensrecht. Eigengesellschaft oder Kommunalunternehmen in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts als Gegenbewegung zur Privatisierung

AuthorFranz-Ludwig Knemeyer
Positionem. Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Pages22-32

Über Bedeutung und Notwendigkeit der Privatisierung zur Staatsentlastung und Haushaltsschonung aber auch zur Konzentration auf die Kernverwaltung besteht Einigkeit. 2

Herr Maurer hat ausgehend von den verschiedenen Begriffen der Privatisierung vor allem die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen materieller Aufgabenprivatisierung entwickelt.

Die Vielfalt der Privatisierungsmöglichkeiten, Formen und Mischformen, Kooperationsmöglichkeiten zwischen Staat und privatem Sektor (bei Verbleib hoheitlicher Gesamtverantwortung) hat Herr Schoch noch einmal aufgegriffen. 3 Er ist dann in einen Bereich vorgedrungen, der lange Zeit in der Privatisierungsdiskussion tabu war, die Sicherheitsaufgaben. 4 Schoch hat dabei auch dargelegt, wie private Anbieter Handlungsfelder entdecken und für sich nutzen, die der Staat hat brachliegen lassen, die aber infolge gewandelter Verhältnisse beackert werden müssen: z.B. private Sicherheitsdienste, deren Tätigkeit indirekt auch zur Sicherheit im öffentlichen Bereich beitragen. 5

So kann ich mich einem Aufgabenspektrum zuwenden, in dem Privatisierungsbemühungen schnell an Grenzen stoßen: der kommunalen Daseinsvorsorge. Auch generelle Aufforderungen in Kommunalordnungen zur Prüfung von Privatisierungsmöglichkeiten - gedacht zur Haushaltsentlastung und eingefügt im Rahmen der Reform der Haushaltsrechte 6 haben wenig gebracht. Immerhin haben sie der Privatisierungsdiskussion weiteren Auftrieb gegeben. 7

Im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge verpflichten die Landesgesetzgeber die Kommunen, lebensnotwendige Leistungen für die Bürger selbst zu erbringen oder zumindest deren nachhaltige und sozialverträgliche Erfüllung zu garantieren. Kommunale Pflichtaufgaben 8 sind privatisierungsfest. 9 Echte materielle Privatisierungen - also der volle Rückzug aus einer originär kommunalen Aufgabe - im Bereich kommunaler Daseinsvorsorge kommen infolge des Bestandsschutzes 10 oder mangels wirtschaftlicher Lukrativität 11 kaum in Betracht. So bleibt unter dem Schlagwort Privatisierung im kommunalen Bereich im Wesentlichen der Aufgabenkomplex der Leistungsverwaltung, die in wirtschaftlichen Formen erbracht werden kann.

Ein kommunales Wirtschaftsrecht ist nicht neu. Eigengesellschaft und Beteiligungsgesellschaft stehen schon lange neben öffentlichrechtlichen Formen der wirtschaftlichen Leistungserbringung namentlich im Eigenbetrieb. Eigengesellschaft, Beteiligungsgesellschaft und speziell auf das wirtschaftliche Handeln von Kommunen zugeschnittene Mischformen haben jedoch vor dem Hintergrund von Privatisierungsforderungen an Bedeutung gewonnen.

Unter dem Aspekt Privatisierung ging und geht es im kommunalen Bereich 12 freilich primär um Fragen der formellen Privatisierung, der Organisationsprivatisierung - die Aufgabe verbleibt bei der Kommune, nur die Aufgabenerfüllung erfolgt in privatrechtlicher Rechtsform. Privatisierung bedeutet also im kommunalen Bereich grundsätzlich eine Verlagerung von Aufgaben aus der unmittelbaren in die mittelbare Kommunalverwaltung mit dem Ziel einer effektiveren, marktkonformeren Aufgabenerfüllung sowie der Haushaltsentlastung. Erreicht wird dies durch einen Wechsel der Rechtsform in der Aufgabenerledigung.

Ausblenden werde ich in meinem Referat die funktionale Privatisierung, die Einschaltung privater Dritter als Beliehener in die Aufgabenerfüllung. Zudem kann ich nicht eingehen auf Fragen der Zulässigkeit kommunaler Wirtschaftstätigkeit primär unter dem Aspekt des Rechtsschutzes privater Konkurrenten beim Einstieg von Kommunen in neue Geschäftsfelder. 13 Hier haben sich die Kommunen trotz zwischenzeitlich erfolgter gesetzlicher und gerichtlicher Klärungen immer noch Zangenangriffen der Privatwirtschaft und der EU zu erwehren. 14 Kommunale Spitzenverbände und Kommunalminister erteilen in seltener Einigkeit allen Liberalisierungsbestrebungen aus Brüssel in Bezug auf kommunale Daseinsvorsorgeaufgaben wie etwa die Trinkwasserversorgung eine Absage. 15

Im Folgenden geht es also vor allem um die Abgrenzung von Eigengesellschaft und Wirtschaftsunternehmen in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts. Dazu werde ich in einem ersten Teil kurz allgemein auf Privatisierungen im Bereich kommunaler Daseinsvorsorge und die Gegenbewegung zur Festigung öffentlichrechtlicher Organisationsformen eingehen. Im ausführlicheren zweiten Teil steht dann das moderne kommunale Unternehmensrecht im Focus. Dabei geht es auch und vor allem um eine wirksame Steuerung durch die kommunalen Vertretungsorgane. Der Vortrag schließt mit einer Gesamtbewertung.

1. "Privatisierung" kommunaler Daseinsvorsorge

Bis in die 90er Jahre war es gemeinsame gesellschaftspolitische Überzeugung, dass die kommunalen Aufgaben grundsätzlich öffentlich-rechtlich, grundsätzlich auf das eigene Gebiet beschränkt und grundsätzlich ohne Beteiligung privater Dritter zu erfüllen waren. "Zwei politische Entwicklungen markierten Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts das Ende dieser heilen Welt: Zum einen die vom angloamerikanischen Raum auf den europäischen Kontinent überschwappende und erst jetzt allmählich auslaufende Grundwelle ("Reaganomics", "Thatcherismus"), wonach "Private" alles besser, schneller und vor allem billiger können als öffentliche Unternehmen, zum anderen die Einführung des Europäischen Binnenmarkts." 16

Gerade in der Daseinsvorsorge sind die Kommunen schon lange an Grenzen ihrer Leistungs- und Finanzierungsfähigkeit gestoßen. Wettbewerbsdruck, kommunale Haushaltsprobleme und allgemeine strategische Überlegungen haben namentlich ab Mitte der 90er Jahre zu einer Welle von Auslagerungen und Kooperationen mit privaten Anbietern geführt. Alfred Katz stellt diesen Wandel unter das Schlagwort: Von Omnipotenz zu Subsidiarität und Dezentralisation. 17 Die kommunale Daseinsvorsorge - traditioneller Kernbestand des kommunalen Leistungsprofils - ist von dieser Entwicklung besonders betroffen. In Bereichen der kommunalen Ordnungsverwaltung - z.B. der Bauleitplanung - spielen insbesondere Kooperationen mit privaten Anbietern eine steigende Rolle. So wird nicht zu Unrecht vor einem schleichenden Ausverkauf oder doch einem bedenklichen Verlust an Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten urkommunaler Agenden gewarnt. 18

Besondere Brisanz hat das Thema Organisations-Privatisierung gewonnen, seit Kommunen die Privatisierung oder richtiger gesagt: die Tätigkeit am Markt - zur Konsolidierung ihrer Haushalte entdeckt und in Annexbereiche kommunaler Aufgaben und darüber hinaus auch in nicht unmittelbar dem Bürgerwohl dienende Bereiche ausgeweitet haben: Einsatz ihres Fahrzeugparks jenseits der Grenzen, der Reparaturbetriebe für Privatunternehmen, der Gartenbetriebe für nichtkommunale Anlagen etc. etc. 19

Blenden wir privatisierungsfeste Kern-Bereiche 20 kommunaler Ordnungsverwaltung aus wie die Sicherheitsverwaltung, das Ausweis- und Meldewesen und der Gleichen, und vernachlässigen wir voll privatisierbare Aufgaben - Gebäudereinigung, Reparatur von Fahrzeugen, gärtnerische Gestaltung, also technische Hilfsaufgaben und Nebenleistungen - so suchen und finden die Kommunen Partner aus der freien Wirtschaft oder verschieben Leistungsaufgaben aus dem eigenen Wahrnehmungsbereich und Kommunalhaushalt in die "kommunale Schattenwirtschaft" oder positiv ausgedrückt: in den Bereich der mittelbaren Kommunalverwaltung.

Ist der Wandlungsprozess in der öffentlichen Aufgabenerfüllung namentlich im Bereich des Public-Private-Partnership 21 noch in vollem Gange, so befinden wir uns auf dem Felde des Outsorcing wirtschaftlicher Agenden in kommunale Eigengesellschaften auf gesetzlich weitgehend gesichertem Terrain. Der Wandel vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat ist gekennzeichnet allein durch eine Verschiebung der Wahrnehmungskompetenzen 22 auf eigenständige aber von den Kommunen getragene juristische Personen. Steuerung und Kontrolle bleiben - jedenfalls rechtlich - in der Hand der unmittelbaren Kommunalverwaltung mit ihren demokratisch legitimierten Gremien. Der Gewährleistungsverantwortung ist auf diese Weise noch am ehesten nachzukommen. - Kommunale Steuerung und unternehmerische Freiheit bedeuten keinen unlösbaren Spagat! 23

Dies gilt gleichermaßen für eine Verselbständigung der Aufgabenwahrnehmung in der Form der öffentlichrechtlichen Anstalt wie für ein Outsorcing in eine Eigengesellschaft privaten Rechts.

Steuerung und Kontrolle und damit die unmittelbare demokratische Anbindung an das kommunale Muttergemeinwesen bestimmen aber auch die Einbeziehung außenstehender Privater in die Erfüllung kommunaler Aufgaben, so etwa in Kooperations-, Betreiber- oder Betriebsführungsmodellen, in Leasing- oder Konzessionsmodellen. 24 - Diese Möglichkeiten der Privatisierung müssen im Referat ebenso ausgeschlossen bleiben wie ein Blick auf die namentlich durch die Privatisierung bescheunigte Reform des kommunalen Haushaltsrechts von der Kameralistik zur Doppik, um den Kernbereich des kommunalen Unternehmensrechts - die Eigengesellschaft und das Kommunalunternehmen in Anstaltsform näher betrachten zu können.

Spätestens seit der GO 1935 hat den Kommunen bereits ein auf sie zugeschnittenes Wirtschaftsrecht zugestanden. 25 Auch war ihnen...

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