Über die Geschichte und Bedeutung von Oikeus als einer kritischen Zeitschrift

AuthorPäivi Paasto
PositionDozent, Dr. jur. Universität Turku
Pages84-89
1. Einleitung

Nach dem modernen Verständnis der Gesellschaft und des Rechts sind Recht und Gesetze die wichtigsten Mittel der Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung, wobei man für das Herausfinden der richtigen gesellschaftlichen Zielsetzungen und Steuerungsmethoden die offenen politischen Diskussionen und die entsprechenden Fora braucht. Die wichtigsten Fora sind Parlament und Medien, also vor allem die Presse, d. h. Tageszeitungen und Zeitschriften. So war es allerdings noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heutzutage ist die Bedeutung des Fernsehens und des Internets erheblich gewachsen. Immerhin war es noch der allgemeine Hintergrund bei der Gründung der finnischen Rechtszeitschrift Oikeus (dt. "Das Recht") im Jahr 1972.

Oikeus war explizit als ein neues Forum für kritische rechtspolitische Diskussionen gedacht, die man für notwendig in der gesellschaftlichen Situation nach dem Ende der 1960er Jahre hielt, wofür aber die vorhandenen konservativen juristischen Zeitschriften nicht so geeignet waren. Die Situation hatte sich nach den Ereignissen von 1968 in vielen europäischen Ländern (und auch in den Vereinigten Staaten) sehr verändert. Es gab radikale politische Bewegungen auch in Finnland und in finnischen Universitäten, die alle Institutionen des bürgerlichen Staats kritisierten, die soziale Reformen oder gar eine sozialistische Gesellschaft bzw. "echte Demokratie" anstrebten. Die Modeideologien (also Marxismus und die Linken) sahen Recht und Rechtswissenschaft als Institutionen, die den altmodischen, bürgerlichen Staat repräsentierten und unterstützten und gerade deswegen als Institutionen ganz neu zu arrangieren waren. Allerdings waren die Motive für die Befürwortung der Neuerungen nicht nur parteipolitisch.

Ein weiteres wichtiges Element oder ein weiterer wichtiger Faktor neben dem Diskussionsbedarf waren die Veränderungen in der Wissenschafts- und Universitätspolitik. Seit dem 19. Jahrhundert war das Rechtsstudium in Finnland ein Monopol einer Fakultät, der in Helsinki gewesen. Während der 1960er und 1970er Jahre wurden aber als ein Teil der gesellschaftlichen Territorialpolitik viele neue Hochschulen in verschiedenen Städten des Landes gegründet, und so wurde nun auch die Juristenausbildung verbreitet. Man konnte seit den 1960er Jahren Jurist auch an der Universität zu Turku werden. Darüber hinaus wurde es möglich, das öffentliche Recht als Hauptfach in den Verwaltungsstudien in Tampere zu studieren.

Der dritte Faktor nach dem Diskussionsbedarf und Verbreitung der Juristenausbildung war die innere Entwicklung der Rechtswissenschaft. Einige Rechtswissenschaftler haben die zeitgenössische Rechtswissenschaft für methodisch veraltet und zu eng gesetzesdogmatisch gehalten, dies gerade im Vergleich zu anderen Gesellschaftswissenschaften (z. B. Soziologie und Staatswissenschaft), die die empirischen Methoden aktiv benutzten. Dazu kam die unter den meisten Juristen verbreitete Überzeugung, dass die Rechtswissenschaft wertungsfrei sei und sein sollte. Die neuen Radikalen wollten es anders sehen.

Den konkreten Kontext bei der Gründung von Oikeus bildeten die Diskussionen über das Justizwesen im Allgemeinen und über die Unabhängigkeit der Richter insbesondere. Auch der Staatspräsident Kekkonen nahm an dieser Diskussion durch ein Interview von 1970 teil. Ein Vorschlag des Staatspräsidenten war, dass die Richter Beamte auf Widerruf werden sollten, also befristet eingesetzt und der politischen Verantwortung unterworfen. Es gab einige Juristen, für die gerade diese Diskussionen und Streitfragen klar zeigten, dass es zu wenig Raum oder Fora für wirklich lebendige und aktuelle rechtspolitische Diskussionen gab. In dieser Situation gründete der Demokratische Juristenverein die neue Zeitschrift Oikeus, die er nach wie vor zusammen mit dem Rechts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Verein herausgibt. Die einzige Veränderung besteht darin, dass der Demokratische Juristenverein seit 2002 Rechtspolitischer Verein Demla heißt. Die Vereinsmitglieder bekommen Oikeus gegen den Mitgliedsbeitrag. Man kann die Zeitschrift auch in einigen Buchhandlungen kaufen, aber es gibt immer noch keinen wirklichen Markt für die speziellen fachwissenschaftlichen Zeitschriften in Finnland. So wird die Herausgabe von Oikeus durch den Staat über den Pressezuschuss von der Akademie Finnlands unterstützt.

2. Vier Stationen in der Geschichte der Oikeus

Die juristischen Zeitschriften geben zwar nur einen Aspekt der Rechtspolitik wieder. Dennoch bilden die Zeitschriftenaufsätze und -beiträge eine interessante Stoffsammlung, worüber es nicht viele genauere Forschungen in Finnland gibt. Ich selbst habe einen längeren Artikel publiziert 1 über die Frauen als Rechtswissenschaftler und Autoren der vier bekanntesten finnischen juristischen Zeitschriften: Juridiska föreningens tidskrift (dt. "Zeitschrift des juristischen Vereins"; abgekürzt JFT, erscheint ab 1865), Lakimies (dt. "Der Jurist", erscheint ab 1903), Defensor Legis (erscheint ab 1920) und Oikeus (dt. "Das Recht", erscheint ab 1972). Hier geht es weiter nur um die jüngste Zeitschrift und diesmal etwas allgemeiner als nur um die Frauen. Es sei hier nur vermerkt, dass Oikeus zwar ein Organ war, in dem man die neuen Themen zunächst aufnahm, die dann aber nach einer Weile auch in den älteren Zeitschriften behandelt wurden. Allerdings war Oikeus gerade in der Geschlechtsperspektive den früheren Zeitschriften ganz ähnlich - auch hier dominierten in der Verfasserschaft lange die Männer.

Um hier ein Bild über die Geschichte von Oikeus zu skizzieren, nehme ich vier Jahrgänge unter näheren Betracht, die meiner Meinung nach kennzeichnend sind, um die wichtigsten wiederkehrenden und neuen Themen zu präsentieren, die Oikeus durch die Jahrzehnte behandelt hat. Beginnend mit dem ersten Heft vom 1972 über die Jahre 1982, 1992 bis 2007 hinaus ist es um die Rechtspolitik gegangen. Die Fragen bestehen aber darin, wie man die rechtspolitischen Diskussionen in diesen unterschiedlichen Zeiten verstanden hat, ob man da Unterschiede abzeichnen kann, welche Themen man für aktuell gehalten hat und wie man die Bedeutung von rechtspolitischen Beiträgen geschätzt hat.

2.1. Oikeus im Gründungsjahr 1972

In dem ersten Heft gibt es einen Einleitungsaufsatz von dem ersten Chefredakteur Aulis Aarnio - der damals 35-jährige Rechtstheoretiker war gerade im Jahre 1970 Professor für Zivilrecht an der Juristenfakultät in Helsinki geworden. Aarnio schrieb über die Motive der Gründung der neuen...

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