Abgrenzung von Allgemeinverfügung und Rechtsverordnung

AuthorUlrich Ramsauer
Pages69-83
69
JURIDICA INTERNATIONAL 21/2014
Ulrich Ramsauer
Prof. Dr. iur.
Universität Hamburg
Abgrenzung von
Allgemeinverfügung und
Rechtsverordnung
I. Einführung: Historische Entwicklung
von Verwaltungsakt und Rechtsnorm
In den siebziger Jahren gab es in Deutschland erhebliche Auseinandersetzungen um die Einordnung von
Verkehrszeichen. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof wollte seinerzeit die in der deutschen Straßen-
verkehrsordnung*1 vorgesehenen und auf dieser Grundlage erlassenen Straßenverkehrszeichen als Rechts-
verordnungen behandeln, was zur Folge gehabt hätte, dass eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsge-
richt nach § 42 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen Verkehrszeichen nicht zulässig gewesen
wäre. Das Bundesverwaltungsgericht entschied anders und ordnete die Verkehrszeichen als Verwaltungs-
akte in Form von Allgemeinverfügungen (§ 35 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)) ein mit der
Folge, dass Verkehrszeichen in Deutschland heute von allen Verkehrsteilnehmern mit der Anfechtungs-
klage angefochten werden können.*2
Im Übrigen ist es um die Allgemeinverfügung in Deutschland eher still geblieben; es gibt aus neuerer
Zeit*3 vergleichsweise wenige wissenschaftliche Abhandlungen, die sich mit den Problemen der Allgemein-
verfügung befassen.*4 In der Praxis macht die Abgrenzung von Allgemeinverfügung und Rechtsverordnung
in Deutschland nur in wenigen speziellen Fallgestaltungen Schwierigkeiten.*5 Dies liegt vor allem an den
1 Straßenverkehrsordnung (StVG) in der Fassung vom (i.d.F.v.) 6.3.2013. – Bundesgesetzblatt (BGBl.) I. 367, als Rechts-
verordnung erlassen auf der Grundlage von § 6 StVG.
2 Einzelheiten zur Anfechtbarkeit und den zu beachtenden Fristen bei F. O. Kopp, U. Ramsauer. Verwaltungsverfahrensgesetz:
VwVfG. Kommentar. 14. Auf‌l . München: Beck 2013, § 35 Rdn. 173 ff.
3 Von den älteren Veröffentlichungen sind erwähnenswert D. Volkmar. Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt. Berlin: Duncker
& Humblot 1962, S. 203; U. Triebel. Probleme der Begriffsbestimmung. Kiel: Univ. Diss. 1978, S. 10; C. Schäfer. Benutzung-
sregelung gemeindlicher Einrichtungen auf der Grundlage des § 35 S. 2 3. Alt. VwVfG. Frankfurt a. Main: Lang 1986; T. Jaag.
Abgrenzung zwischen Rechtssatz und Einzelakt. Zürich: Schulthess 1985.
4 H.-W. Laubinger. Das „Endiviensalat-Urteil” – eine Fehlentscheidung? Zum Begriff der Allgemeinverfügung und Rechtsver-
ordnung. – Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (VBlBW) 1987, S. 361; K. Obermayer. Das Dilemma der Regelung des
Einzelfalls nach dem VwVfG. – Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1980, S. 2386; F. Schoch. Die Allgemeinverfügung
(§ 35 Satz 2 VwVfG). – Juristische Ausbildung (Jura) 2012, S. 26; S. Wandschneider. Die Allgemeinverfügung in Rechts-
dogmatik und Rechtspraxis. Frankfurt a. Main: Lang 2009.
5 Vgl. etwa die – wegen Aufhebung der Bestimmungen inzwischen erledigten – Streitigkeiten um die Einordnung des. Smog-
Alarms, der Bekanntmachung der austauscharmen Wetterlage nach § 40 Abs. 1 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwel-
teinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BImSchG) a.F. oder um
die Einordnung der Bekanntgabe der Unterschreitung der Mehrwegquote nach § 9 Abs. 2 Satz 2 Verpackungsverordnung
http://dx.doi.org/10.12697/JI.2014.21.06

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